Der Blick eines japanischen Fotografen auf das geteilte Korea
Es ist ein frühsommerlicher Nachmittag, an dem ich durch die verwinkelten Gassen Tokios eile. In der Nähe der Elektronikmeile Akihabara im Stadtteil Kanda des Bezirks Chiyoda begleite ich heute die Dreharbeiten des ARD-Auslandsstudios über einen japanischen Fotografen und dessen außergewöhnliches Fotoprojekt. Im Rahmen meines Studienaufenthaltes in Japan absolviere ich ein Praktikum bei dem Auslandskorrespondenten Uwe Schwering und seinem Team. Im zweiten Stock eines unscheinbaren, schmalen Hauses sind die Filmaufnahmen schon in vollem Gange. Dem Künstler selbst steht die Aufregung ins Gesicht geschrieben, kombiniert mit einer Portion Stolz. „Das ist ein Team des deutschen Fernsehens“, verkündet er jedem neuen Besucher als erstes. Schwarze Locken krausen sich auf dem Kopf des schlanken, 46-jährigen Japaners, der ein weites, weißes Hemd über einer schwarzen Jeans trägt. „border | korea“ steht in schwarzen Lettern auf der weißen Wand gleich neben dem Eingang geschrieben. Darunter „Yusuke Hishida“, der Name des Foto- und Videografen, dessen Werke hier zu betrachten sind. Etwa ein Drittel des Raums ist mit einer durchsichtigen Folie vom Rest der Ausstellung abgetrennt. Darauf ist eine kartographische Darstellung der koreanischen Halbinsel gedruckt: Der Norden und der Süden.
Mit der Grenze (englisch: border) zwischen Nord- und Südkorea setzen sich die Ausstellung „border | korea“ und der gleichnamige Fotoband des japanischen Fotografen Yusuke Hishida auseinander. Sieben Mal reiste Hishida nach Nordkorea, etwa fünfzehn Mal in den Süden. Zu jedem Fotomotiv aus dem Norden suchte er ein Pendant im Süden. In „border | korea“ finden beide Fotos zusammen: Links das Foto aus Nordkorea, direkt daneben auf der rechten Seite das Foto aus Südkorea.
Wie kam Yusuke Hishda auf die Idee für dieses Projekt? „Im Mai 2009 reiste ich zum ersten Mal nach Nordkorea“, berichtet er im Interview mit „Kultur Korea“. „Als ich in Nordkorea mit dem Auto unterwegs war und aus dem Fester blickte, fühlte ich mich, als würde ich eine Zeitreise machen. In Pjöngjang sah ich eine Gruppe von Menschen, die auf ihrem Weg von der Arbeit nach Hause waren und dabei zusammen ein Lied sangen. Es gab auch viele Propagandaplakate, die zum Kampf gegen die USA aufriefen. Ich sah viele Soldaten in den Straßen. Im Gegensatz dazu Südkorea. Südkoreanische Populärkultur ist ja sehr beliebt in Japan. Wir mögen Filme und Musik aus Südkorea, und wenn wir Südkorea besuchen, dann fühlen wir doch eine gewisse Affinität, da wir einen ähnlichen kulturellen Hintergrund teilen. Nordkorea dagegen ist wie aus einer anderen Zeit. Das Volk ist das gleiche, aber die Zeit ist eine andere.

Da kam mir der Gedanke: ,Wie verändert eine Linie auf einer Landkarte das Leben der Menschen?‘ So hatte ich die Idee, jeweils ein Foto aus dem Norden und eins aus dem Süden einander gegenüber zu stellen.“ Im Mai 2009 begann Yusuke Hishida mit den ersten Fotoaufnahmen. Die neuesten Aufnahmen in seinem Fotoband sind auf Mai 2017 datiert. Es dauerte also acht Jahre, bis er seine Werke nun der Öffentlichkeit präsentiert.
Ich bin hin- und hergerissen. So ähnlich und gleichzeitig doch so verschieden sind die beiden Motive. Indem Yusuke Hishida die Aufnahmen aus den zwei Staaten nebeneinanderstellt, gibt er dem Betrachter eine einmalige Chance: einen direkten Vergleich zwischen Nord- und Südkorea. Seit über siebzig Jahren sind der Norden und der Süden entlang des 38. Breitengrades getrennt. In dieser Zeit haben sich zwei Sprachen, zwei Kulturen und zwei Geschichten entwickelt, und doch ist es immer noch ein Volk mit den selben Wurzeln. Diese Gradwanderung zwischen Verbindendem und Trennendem begeht Hishida mit seinen Werken. Dabei bildet er Menschen in den verschiedensten Lebenssituationen und –stadien ab: Vom Baby bis zur Rentnerin, vom frisch getrauten Ehepaar bis zu Urlaubern beim Badeausflug am Strand.

Wie er sich mit den Nordkoreanern verständigt habe, frage ich ihn, während wir das Bild zweier Neugeborener auf einer Säuglingsstation betrachten, links im Norden in einem rostigen Gitterbettchen, rechts im Süden in einer durchsichtigen Kunststoffwanne. „Auf Japanisch“, meint Yusuke Hishida und fügt hinzu: „Viele in Nordkorea können Japanisch sprechen“. Ob er trotzdem Schwierigkeiten hatte, frage ich ihn weiter, und tatsächlich hatte er weniger, als ich erwartet hätte: „Wenn man Nordkorea als Tourist besucht, dann wird man die ganze Zeit von zwei offiziellen Begleitern betreut. In meinem Fall sprachen sie Japanisch und kümmerten sich um das Organisatorische meiner Reise. Natürlich kann man ohne diese Begleiter das Hotel nicht verlassen. Natürlich sehen manche in ihnen Beobachter und, ja, natürlich, sie haben mich immer beobachtet. Wenn ich Fotos machen wollte, haben sie mich auch manchmal davon abgehalten. Für manche Fotografen ist es sicherlich sehr schwierig und belastend, mit solchen Aufpassern an der Seite Fotos zu machen. Aber für mich war es in Ordnung, manchmal haben sie mir bei meinen Fotos sogar assistiert. “
Um das Vertrauen der Nordkoreaner zu gewinnen, verschenkte er eigene, gedruckte Fotografien. So wollte er den Menschen zeigen, dass er tatsächlich Fotograf ist. Nichtsdestotrotz gab und gibt es viele Regeln, die für ausländische Touristen in Nordkorea zu beachten sind. Zum Beispiel ist es verboten, Soldaten zu fotografieren. Da er als Tourist aber zu vielen belebten Orten gebracht wurde, hatte Yusuke Hishida nie Schwierigkeiten, geeignete Fotomotive für sein Projekt vor die Kamera zu bekommen. Er besuchte Schulen, Krankenhäuser und Tempel. Einen Blick hinter die Kulissen gewährt auch ein Video, das in der Ausstellung zu sehen ist.
Zum Zeitpunkt der Vernissage von „border | korea“ am 27. Mai stand das historische Treffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un (12. Juni 2018) noch bevor. Die rasanten Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel haben auch Yusukue Hishida überrumpelt. „Als ich meinen Fotoband im Sommer 2017 zusammenstellte, gab es wöchentlich neue Raketentests von Nordkorea. Diese Entwicklungen jetzt hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können.” Trotzdem glaubt Yusuke Hishida langfristig nicht an eine Wiedervereinigung Koreas.
Wie es jetzt weitergeht mit seinem Projekt, möchte ich von ihm zum Abschluss noch wissen. Er wird sein Fotoprojekt fortsetzen, aber nicht nur in Korea. Die syrische Grenze oder innerjapanische Grenzen wie Hokkaido (die Insel im Norden Japans ist bekannt für die indigene Minderheit der Ainu) zu dokumentieren, steht auf seinem Plan. Doch sein Weg wird ihn auch sicherlich noch einige Male nach Korea führen. „Ich denke, ich muss noch viel mehr Fotos machen. „border | korea“ ist noch nicht beendet.“
©Text & Fotos: Bettina Dirauf
Erschienen 02.08.2018; Magazin “Kultur Korea”
Hinweise:
- Die Ausstellung „border | korea“ fand vom 27. Mai bis zum 24. Juni 2018 in der Kanzan Gallerie statt (http://www.kanzan-g.jp/yusuke_hishida.html).
- Der Fotoband „border | korea“ kann auch in Deutschland erworben werden (Bestellungen über die Seite anagrambooks.com oder direkt beim Künstler selbst www.yusukehishida.com).
- Originale Textversion: https://kulturkorea.org/de/magazin/das-volk-ist-das-gleiche-aber-die-zeit-ist-eine-andere