Berlin hat ein Problem. Von einer Statue, Schuld und der Schwierigkeit des Erinnerns.

In Berlin soll eine Statue des Korea-Verbands, die das Leiden der sogenannten Trostfrauen thematisiert, kurz nach ihrer Errichtung auf Druck der japanischen Regierung hin wieder entfernt werden. Warum es in diesem Fall nur Verlierer gibt. Ein Erklärungsversuch.

Was ist passiert?

Am 28. September 2020 errichtete der Korea-Verband in der Bremer Straße/Birkenstraße in Berlin-Moabit eine Friedensstatue, die auf sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen in bewaffneten Konflikten aufmerksam machen soll. Ein junges Mädchen sitzt auf einem Stuhl, die Hände zu Fäusten geballt. Daneben steht ein leerer Stuhl, als Symbol für die bereits Verstorbenen und als Einladung, sich mit den Opfern zu solidarisieren. Doch bereits am 08. Oktober gab der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte Stephan von Dassel bekannt, dass das Bezirksamt die Genehmigung für die Friedensstatue aufhebe. Das Mahnmal müsse bis 14. Oktober wieder von dem öffentlichen Platz entfernt werden. Als Grund nennt Stephan von Dassel in der Pressemitteilung vom 08.10.2020:

Mit der ‚Friedensstatue‘ und ihrer Texttafel wird ein politisch-historisch belasteter und komplexer Konflikt zwischen zwei Staaten aufgegriffen, der sich nicht für die Aufarbeitung in Deutschland eignet. Der Bezirk Mitte ist Heimat für Menschen aus weit mehr als 100 Nationen, die in toleranter, offener, friedlicher und respektvoller Weise miteinander umgehen. Um dieses Miteinander nicht zu gefährden, muss das Bezirksamt in seiner Rolle als Genehmigungsbehörde grundsätzlich auf Parteinahme in zwischenstaatlichen und insbesondere historischen Konflikten verzichten.

Bezirksamt Mitte (08.10.2020): Bezirksamt Mitte hebt Genehmigung für „Friedensstatue“ auf. Pressemitteilung Nr. 363/2020.

Im Genehmigungsverfahren sei die Friedensstatue vom Bezirksamt als „Statement gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen in kriegerischen Konflikten“ bewertet worden. Auf der Gedenktafel finde sich eine entsprechende Information allerdings nicht wieder, so die Begründung der Bezirksregierung. Auf Gedenk- und Informationstafel ist lediglich von den Kriegsverbrechen Japans die Rede.

Im Zweiten Weltkrieg verschleppte das japanische Militär unzählige Mädchen und Frauen aus dem gesamten Asien-Pazifik-Raum und zwang sie zur sexuellen Sklaverei. Die Friedensstatue erinnert an das Leid dieser sogenannten Trostfrauen. Sie würdigt den Mut der Überlebenden, die am 14. August 1991 ihr Schweigen brachen und sich gegen eine Wiederholung solcher Verbrechen weltweit einsetzen.

Pressemappe (09.2020): Errichtung der Friedensstatue in Berlin. Korea-Verband e.V.

Der Korea-Verband und dessen Arbeitsgemeinschaft „Trostfrauen“ reagierten mit Empörung auf die Entscheidung des Bezirksamts. Der Korea-Verband habe von Anfang an transparent gearbeitet und darauf hingewiesen, dass mit deutlichen Protesten der japanischen Regierung zu rechnen sei, so die Vorsitzende Nataly Jung-Hwa Han. Am 13. Oktober fand um die Statue eine Kundgebung mit circa 200 Teilnehmer/innen statt. Auch rechtliche Schritte gegen die Aufhebung der Aufstellungsgenehmigung werden geprüft, heißt es in einer Stellungnahme des Korea-Verbands, der der Berliner Regierung außerdem eine Einschränkung der Grundrechte auf Kunst- und Meinungsfreiheit vorwirft.

Besondere Brisanz erhält das Thema durch die japanische Regierung, die unmittelbar nach der Enthüllung der Statue Druck auf das Auswärtige Amt, den Berliner Senat und das Bezirksamt Mitte ausgeübt hatte und forderte, das Denkmal entfernen zu lassen. So habe der japanische Außenminister Toshimutsu Motegi per Videogespräch gegenüber dem deutschen Außenminister Heiko Maas die Forderung geäußert, dass die Statue entfernt werden müsse, weil sie im Widerspruch zur Position der japanischen Regierung stehe.

Eine Friedensstatue in der südkoreanischen Stadt Jeonju. Das gleiche Denkmal wurde nun auch in Berlin errichtet.
Foto: Yeongsik Im / Shutterstock

Deckt die deutsche Regierung japanische Kriegsverbrechen?

Natürlich nicht, aber für eine Seite Partei ergreifen, möchte sie auch nicht. Sicher ist, der Konflikt um die sogenannten Trostfrauen wird sich mit der Friedensstatue nicht befrieden lassen. Warum? Dafür muss man tief in die Geschichte und die koreanisch-japanischen Beziehungen eintauchen. Genau das haben die zuständigen Entscheidungsträger in Berlin-Mitte sehr wahrscheinlich nicht getan, als sie im April die Genehmigung zur Errichtung der Statue ausstellten.

Bei den sogenannten Trostfrauen handelt es sich um schätzungsweise 200.000 Mädchen und Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges in Bordellen der japanischen Armee zur Prostitution gezwungen wurden. Die meisten der Opfer stammten aus Korea, welches zu dieser Zeit japanische Kolonie war. Aber auch Frauen aus China und anderen, durch Japan besetzten, Gebieten wie Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Taiwan gehörten zu den Opfern. Auch Niederländerinnen wurden zur Prostitution gezwungen. Diese organisierte Zwangsprostitution wurde von japanischer Seite als Kriegsstrategie eingesetzt. Das Land wollte durch die Gräueltaten den Kampfgeist der eigenen Soldaten stärken, Geschlechtskrankheiten unter den Soldaten eindämmen und wahllose Vergewaltigungen in der Zivilbevölkerung vermeiden. Eine geschichtliche Aufarbeitung dieses Verbrechens sowie eine Auseinandersetzung mit dem Leid der Mädchen und Frauen ist in Japan quasi nicht existent. Weder Schulbildung noch Museen thematisieren dieses pechschwarze Kapitel der japanischen Geschichte.

Die Beziehungen zwischen Südkorea und Japan sind bis heute schlecht. Die Trostfrauen-Thematik ist dabei ein zentraler Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Nicht nur zwischen den jeweiligen Regierungen. Auch die südkoreanische Regierung und ihr Volk ziehen nicht an einem Strang. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten forderte die südkoreanische Bevölkerung von ihrer Regierung immer wieder ein härteres Vorgehen gegen Japan. Ein kleiner Abriss des koreanisch-japanischen Konflikts rund um die Trostfrauen:

1965 schlossen Japan und, das damals autokratisch regierte Südkorea erstmals einen „Grundlagenvertrag zwischen Japan und der Republik Korea“, der die bilateralen Beziehungen normalisieren sollte. Japan leistete Hilfszahlungen und vergab Kredite zu niedrigen Zinsen. Dafür, so schrieb der Vertrag fest, seien alle Forderungen Koreas für die Kolonisierung und den Krieg abgegolten. Große Teile der südkoreanischen Bürgerinnen und Bürger unterstützten dieses Abkommen nicht.

1991 trat erstmals eine überlebende Trostfrau aus Südkorea mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. 1992 entschuldigte sich der damalige japanische Premierminister während einer Pressekonferenz für das Leid, dass den Trostfrauen angetan worden war. 1995 bis 2007 betrieb Japan den „The Asian Women’s Fund“, der den betroffenen Frauen Kompensationszahlungen sowie medizinische und soziale Hilfen garantierte. Allerdings sorgte Premierminister Shinzō Abe im Jahr 2007 mit seiner Aussage, dass keine Beweise vorlägen, dass auf die Frauen Zwang ausgeübt worden sei, erneut für einen Aufschrei in der südkoreanischen Bevölkerung. Der Vater des national-konservativen Abes soll an der Organisation der Zwangsprostitution maßgeblich beteiligt gewesen sein.

Schließlich folgte am 28. Dezember 2015 ein Abkommen zwischen Japan und Südkorea, mit dem der Streit um die Trostfrauen ein für alle Mal beigelegt werden sollte. Vorgesehen waren eine erneute Entschuldigung Japans sowie eine Zahlung von 1 Milliarde Yen (ca. 8,07 Millionen Euro) an die noch lebenden Opfer. Südkorea wurde damals von der Präsidentin Park Geun-hye regiert, Tochter von Diktator Park Chung-hee, der 1965 den Grundlagenvertrag unterzeichnet hatte. Damit sollte der Konflikt unwiderruflich beigelegt werden.

Demonstrationen wie diese, nahe der japanischen Botschaft in Seoul, finden seit 2002 jeden Mittwoch statt.

Dem war nicht so. Der derzeitige Präsident Moon Jae-in erklärte im März 2018, dass Japan als Täter die Angelegenheit nicht für beendet erklären dürfe.

Was nun?

Der Streit um die Friedensstatue in Berlin ist nicht der erste seiner Art. 2016 war eine ähnliche Auseinandersetzung um die Errichtung einer Friedensstatue in Freiburg entbrannt, die im Rahmen der Städtepartnerschaft mit der südkoreanischen Stadt Suwon errichtet werden sollte. Letztendlich entschied man sich auch damals gegen die Friedensstatue auf einem öffentlichen Platz in Deutschland.

Der Historiker, Japanologe und Professor an der Abteilung für Japanologie und Koreanistik der Universität Bonn Reinhard Zöllner äußerte sich zu dem Fall in Freiburg klar und eindeutig: Die Entscheidung, die Friedensstatue in Freiburg nicht zu errichten, wertete er damals als richtig. Der einzig sinnvolle Platz einer solchen Statue sei in Japan selbst, so der Japanologe. Japan sei davon zwar noch weit entfernt, doch Deutschland könne hierbei durchaus anders helfen, als mit der Duldung eines umstrittenen Mahnmals. Zöllner sprach in diesem Zusammenhang auch die Schuld deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg an. Auch diese haben in SS-Bordellen und an der Front sexuelle Gewalt gegen Frauen praktiziert. In diesem Zusammenhang prangerte der Japanologe auch die mangelnde Aufklärung und das fehlende Gedenken von deutscher Seite aus an. Sein Vorschlag:

Hier könnte Deutschland dennoch sinnvoll helfen: Indem es sich endlich seiner eigenen Verantwortung stellt und (z.B. in einer gemeinsamen historischen Kommission) mit Japan zusammen nach Versöhnung sucht, mit den Frauen, denen Unrecht geschehen ist, ihren Familien und ihren Nationen. Deutschland ist den Weg der Wiedergutmachung und Versöhnung schon so oft gegangen — nun hat es die Chance, ihn noch einmal zu gehen, gemeinsam mit einem Land, das sich auf diesem Weg verirrt hat und das sich genauso nach Frieden sehnt wie seine Opfer.

Zöllner, Reinhard (21.9.2016): Freiburg erhält doch keine „Trostfrauen“-Statue. Kotoba 古都薔. http://kotoba.japankunde.de/?p=5664

Am Nachmittag des 13. Oktobers gab Bezirksbürgermeister von Dassel bekannt, dass die Statue erst einmal bleiben dürfe, bis das zuständige Verwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen habe. Bis dahin werde er die Zeit nutzen und nach einer Lösung suchen, sodass „alle Beteiligten damit leben können“. Damit würde ihm das gelingen, was seit 1945 immer wieder versucht, aber nie erreicht worden war.


Quellen:
BBC News (24.01.2005): Japan to end WWII sex slave fund. http://news.bbc.co.uk/2/hi/asia-pacific/4202629.stm
Bezirksamt Mitte (08.10.2020): Bezirksamt Mitte hebt Genehmigung für „Friedensstatue“ auf. Pressemitteilung Nr. 363/2020.
Bezirksamt Mitte (13.10.2020): Umstrittene „Friedensstatue“ darf vorerst stehen bleiben. Pressemitteilung Nr. 371/2020.
Felden, Esther (21.09.2016): Freiburg und die Trostfrau. Deutsche Welle. https://www.dw.com/de/freiburg-und-die-trostfrau/a-19563885
KBS World Radio German (24.03.2015): Der Grundlagenvertrag zwischen Japan und der Republik Korea. KBS World Radio. http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htm?lang=g&menu_cate=history&id=&board_seq=3575&page=3&board_code=kpanorama
KBS World Radio German (02.10.2020): Japanischer Außenminister bittet Berlin um Abriss einer Friedensstatue für Trostfrauen. KBS World Radio. http://world.kbs.co.kr/service/news_view.htm?lang=g&Seq_Code=82911
Pressemappe (09.2020): Errichtung der Friedensstatue in Berlin. Korea-Verband e.V.
Smith, Josh (01.03.2018): South Korean president lashes Japan over wartime use of ‘comfort women’. Reuters. https://www.reuters.com/article/us-southkorea-independenceday-idUSKCN1GD3J1
Stellungnahme des Korea Verbands (08.10.2020): Berlin will Mahnmal gegen sexualisierte Kriegsgewalt gegen Frauen entfernen lassen. Korea Verband. https://www.koreaverband.de/blog/2020/10/08/stellungnahme-friedensstatue/
Zöllner, Reinhard (21.9.2016): Freiburg erhält doch keine „Trostfrauen“-Statue. Kotoba 古都薔. http://kotoba.japankunde.de/?p=5664