Mehr als nur K-Pop: Wie BTS und Co. Südkorea vermarkten

Hinter den Hits aus Südkorea stehen jahrelange Bemühungen von Politik und Wirtschaft, dem eigenen Land einen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen.

„K-Pop Sensation“, „die größte Band der Welt“, „eine der erfolgreichsten Musikgruppen aller Zeiten“ – das alles sind Attribute, mit denen sich die K-Pop Gruppe BTS schmücken darf. Dabei sind die sieben Stars aus Südkorea nicht die erste K-Pop Band, die internationale Erfolge feiert. Man denke nur an Psy mit seinem Song „Gangnam Style“ aus dem Jahr 2012. Das Musikvideo mit dem legendären Pferdetanz war das erste Video überhaupt, das auf YouTube mehr als eine Milliarde Mal angesehen wurde. Auch Bands wie Big Bang, Super Junior oder Girls Generation konnten auf den Konzertbühnen dieser Welt lange vor BTS Erfolge feiern. Doch erst durch BTS, der ersten K-Pop Band auf Platz eins der wichtigsten Singlecharts der USA „Billboard Hot 100“, wurde koreanische Popmusik zu internationaler Populärkultur.

Dabei machen BTS und K-Pop nur einen Teil des Korea-Hypes aus, der auch als „Hallyu“ bezeichnet wird. Der Begriff Hallyu wurde von einem chinesischen Journalisten in den späten 1990er-Jahren eingeführt. Mit dieser „koreanischen Welle“ bezeichnete der Journalist die enorme Beliebtheit von koreanischen Fernsehserien, sogenannten K-Dramen, in China. Mittlerweile meint Hallyu nicht mehr nur koreanische Serien, sondern auch Musik, Film, Mode oder Technik.

Mit „Gangnam Style“ landete Psy 2012 einen internationalen Hit. Im Seouler Stadtviertel Gangnam wurde ihm und seinem Song ein Denkmal errichtet.

Was aus Südkorea kommt, hat plötzlich Markencharakter. Dahinter steht das Konzept des Nation Brandings, welches das Anwenden von unternehmerischen Vermarktungsstrategien auf Staaten beschreibt. Um die Staaten und ihre Reputationen miteinander vergleichen zu können, entwickelte der britische Wissenschaftler Simon Anholt im Jahr 2005 ein Messsystem, den sogenannten Nation Brands Index (NBI) sowie den City Brands Index (CBI). Der NBI etwa ermittelt und vergleicht jedes Jahr das Image von weltweit 50 Nationen anhand von sechs Kategorien: Export, Regierung, Kultur, Menschen, Tourismus, Investment und Immigration.

Zuletzt hatte Anholt im Rahmen des „5th Seoul Brand Global Forum“ im Oktober diesen Jahres dem internationalen Ansehen der südkoreanischen Hauptstadt Seoul ein stabiles Wachstum bescheinigt. „Diese steigende Reputation hängt weitestgehend mit dem Image von Südkorea als Ganzes zusammen und ist mit Sicherheit die Konsequenz daraus, dass Korea mehr und mehr zu regionaler Sicherheit, internationalen Entwicklungen und natürlich zu Populärkultur auf der ganzen Welt beiträgt“, erklärte er in seinem Video-Vortrag.

Nation Branding richtet sich also in erster Linie nach außen. Die größte Herausforderung dabei ist, ein bestimmtes Image so zu kommunizieren, dass ein breites internationales Publikum dieses rezipieren kann. Dabei ist es von Vorteil, dass das nach außen gezeigte Bild eines Landes von der einheimischen Bevölkerung ebenfalls akzeptiert und rezipiert wird. In Südkorea zum Beispiel waren K-Dramen zuerst national erfolgreich, womit ein solider Grundstein für die internationale Vermarktung gelegt war. Darüber hinaus kann eine Nation mehr als eine charakteristische „Marke“ haben, was ebenfalls auf Südkorea zutrifft. Bekannt als Schauplatz des Korea-Kriegs, war das Land vor allem wegen seiner Teilung vom kommunistisch-abgeschotteten Nordkorea im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit präsent. Zu diesem Bild gesellt sich nun die Glitzerwelt südkoreanischer Stars.

Gerade Letzteres zeigt auch die Gefahr des Nation Brandings. Denn dass es dabei darum geht, das Positive einer Kultur zu betonen, kann leicht zur Maskerade unliebsamerer Gesellschaftselemente geraten. Im Falle von Südkorea lenken die schillernden Traumwelten in Fernsehserien oder die bunte Welt des K-Pops etwa davon ab, dass Südkorea ein echtes Problem mit der Diskriminierung von Frauen hat. Neben illegalen Spionagekameras auf Damentoiletten hat das Land, laut OECD, mit dem weltweit größten Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen zu kämpfen.

Auch viele Südkoreaner*innen sind große K-Pop Fans. Hier jubeln Student*innen einer südkoreanischen Universität beim alljährlichen Sommerfest einer koreanischen Girl-Band zu.

Die südkoreanische Politik unterstützt die Vermarkung der eigenen Nation seit langem aktiv. Präsident Kim Young-sam zum Beispiel fokussierte mit dem Slogan „Creation of a New Korea“ bereits in den 90er-Jahren den Export südkoreanischer Fernsehproduktionen. Präsident Lee Myung-bak, ehemals Manager von Hyundai, dann Präsident von Südkorea (2008–2013) und mittlerweile wegen Korruption zu 17 Jahren Gefängnis verurteilt, wollte die koreanische Kultur zu einer globalen Marke machen. So eröffnete das koreanische Kulturministerium 2011 eine eigene Abteilung für die Vermarktung und Verbreitung der nationalen Popkultur.

Diese Anstrengungen zeigten Wirkung, denn mittlerweile hat Hallyu Einfluss auf fast alle südkoreanischen Wirtschaftsbereiche. Neben einem guten Image bedeutet Nation Branding für Südkorea also vor allem eins: einen positiven und messbaren Einfluss auf die nationale Wirtschaft. So ist etwa die Abhängigkeit der Tourismuszahlen von der koreanischen Welle enorm. Im Jahr 2004 stieg als Folge der koreanischen Fernsehserie „Winter Sonata“ die Zahl der japanischen Touristen in Südkorea um 38 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Darüber hinaus hat sich die Zahl ausländischer Touristen in Südkorea von 2009 bis 2019 mehr als verdoppelt.

Ein Bericht des koreanischen Ministeriums für Kultur, Sport und Tourismus in Kooperation mit der nationalen Tourismus-Organisation schätzt den Effekt auf die südkoreanische Wirtschaft allein durch den ersten Platz von BTS in den „Billboard Hot 100 Charts“ auf 1,5 Milliarden US Dollar. Außerdem wird mit einem Exportanstieg bei Kosmetik, Kleidung und Nahrungsmitteln aus Südkorea um über 300 Millionen US-Dollar sowie mit der Schaffung von fast 8000 neuen Jobs gerechnet. BTS wird dafür gezielt als Werbeträger eingesetzt und entsprechend inszeniert.

Oft reisen internationale K-Pop Fans für Konzerte extra nach Südkorea und sorgen so für steigende Touristenzahlen. Bei dieser Autogrammstunde der K-Pop Gruppe EXO mitten in Seoul sind ebenfalls viele ausländische Fans anzutreffen.

Wichtig dabei ist, dass Nation Branding in Südkorea keineswegs nur Product Branding, also Werbung für heimische Produkte, umfasst. Auch das Culture Branding, das Bewerben der eigenen Kultur, spielt eine elementare Rolle. Ein Beispiel hierfür ist die Realityshow „In the SOOP“ des südkoreanischen Fernsehsenders JTBC, in der die sieben Mitglieder von BTS beim Urlaub im Heimatland begleitet werden. Bereits für die erste Szene wurden die Männer von Kopf bis Fuß durch den Sportartikelhersteller Fila eingekleidet, der seit 2007 seinen Hauptsitz in Seoul hat. Zum Urlaubsort selbst geht es in drei Hyundai Palisade-SUVs, für die BTS – ebenso wie für Fila – globale Markenbotschafter sind.

Auf der Fahrt wird die Schönheit der koreanischen Natur bewundert („Wir haben hier wirklich schöne Berge“), was durch Landschaftsaufnahmen unterstrichen wird. An der Unterkunft angekommen, wird unter anderem der Samsung-Kühlschrank („Was für ein großartiger Kühlschrank!“) bewundert. Während ihres Aufenthalts bereiten die Stars traditionelle Gerichte zu und stellen so Besonderheiten der südkoreanischen Küche vor. Die Softdrinks kommen aus einem Getränkekühlschrank der koreanischen Limonadenmarke Chilsung Cider. Der Limonadenhersteller ist Werbepartner von BTS.

Bandmitglied Jimin trägt einen Hanbok und stellt damit die koreanische Tracht zur Schau. Auch Traditionen Südkoreas werden vorgestellt, etwa dass an regnerischen Tagen Reiswein getrunken und koreanische Pfannkuchen gegessen werden („Ist das nicht so etwas wie der koreanische Spirit?“). Später lässt Band-Leader RM sein Handy im Regen liegen und freut sich, als es noch geht: „Wie könnte es auch anders sein bei Galaxy!“ Fanseiten der Band sind überzeugt, dass es für die Serie kein Drehbuch gab und die Bandmitglieder alle Produkte und aus eigenem Antrieb heraus loben.

Auch die Erfolgsserie „Descendants of the Sun“ aus dem Jahr 2016 hatte die Mischung aus Kultur- und Produktwerbung schon perfektioniert. Stellenweise sind in einem Szenenbild bis zu vier explizite Markennennungen zu identifizieren. Doch auch hier passt die Produktwerbung stets in einen größeren Kontext, denn es geht eben auch um die Vermarktung des Selbstverständnisses Südkoreas – nach innen und nach außen.


Eine koreanische Dame gibt dem Pappaufsteller des Hauptdarstellers aus einem berühmten K-Drama einen Kuss. In Südkorea sind nationale TV-Serien sehr beliebt und erfolgreich.

Neben den wirtschaftlichen Gewinnen sind ein weiterer Erfolg des südkoreanischen Nation Brandings internationale Fankulturen mit sprachlichen und kulturellen Kompetenzen. In Deutschland etwa zeigt sich das an der explodierenden Zahl von Erstsemesterstudierenden der Koreanistik. Nicht selten äußert sich neu gewonnenes Kulturverständnis dann allerdings eher auf trivialer Ebene, etwa wenn sich junge Menschen aus dem Ausland mit der sogenannte Sasaeng-Praxis identifizieren, einem Fantum, das die Privatsphäre des jeweiligen Idols ernsthaft verletzen kann.

Hallyu, die koreanische Welle, umfasst bis heute also vor allem die attraktive Seite des ostasiatischen Landes. Ernsthafte Auseinandersetzungen mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind weder von der Politik noch von den Wirtschaftsunternehmen erwünscht. Die Gefahr, dass Skandale, wie zuletzt die Selbstmorde südkoreanischer A-Prominenter oder ein Missbrauchsskandal mit K-Pop-Idolen als Tätern, das aufgebaute Image ankratzen, ist zu groß. Nicht nur die koreanischen Unterhaltungsfirmen fürchten sich vor dem Riss in der makellosen Fassade ihrer Stars. Für die Fans wäre das ebenfalls von Nachteil: Auch sie setzen schließlich auf die perfekte koreanische Welle.

Erstmals erschienen in der Berliner Zeitung: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/mehr-als-nur-k-pop-wie-bts-und-co-suedkorea-vermarkten-li.121140?pid=true